Auf Augenhöhe
Ein Blick auf die Uhr – schon 20:21 Uhr. Ich machte die Dusche an und ließ das heiße Wasser über den schmerzenden Körper fließen. Da stand ich nun in einem Hotel in einem Vorort von Hamburg, fertig, ausgepowert, Rien ne va plus – nichts geht mehr.
Was für ein Tag!!!
Die Lichtkegel unserer Fahrradlampen suchten in der Dunkelheit den Radweg in der Südermarsch. Es war November, 6:30 Uhr und wir hatten Husum verlassen, vorbei an den Bäckereien die ein Duft von frischen Backwaren umwaberten. Vorbei an der hell beleuchtenden Tankstelle, wo ein Mann mit seinem Coffe to go in sein Auto stieg, den Motor anließ und dann zügig, mit viel Horsepower an uns vorbeizog.
Wir waren auf unseren „Drahteseln“ auf dem Weg nach Hamburg. Wieviel Horsepower hat so ein Drahtesel?
Aus einer fixen Idee, wurde nun Realität. An einem Tag nach Hamburg- mit dem Fahrrad! Wer hatte sich das bloß ausgedacht?
Im vergangenen September waren wir mit einer Fahrradgruppe in 5 Tagen nach Hamburg geradelt. Wurde da die Frage gestellt: „Kann Mann auch an einem Tag mit dem Fahrrad nach Hamburg fahren“?
Ja, ich erinnerte mich vage. Ich meinte: „Na klar, früh los, spät ankommen, einfach Kopf ausschalten und ordentlich in die Pedale treten.“
Nun bearbeiteten wir die Pedale, der Pädagogische Assistent und ein Klient des Ambulanten Betreuten Wohnen der Husumer Horizonte. Manuel war von der Idee nach Hamburg zu fahren Feuer und Flamme gewesen. In den vergangenen Wochen sorgte er dafür, dass ich das ja nicht vergaß.
An der B 5 fuhren wir Richtung Süden. Plötzlich sprangen die Fahrräder über ein Hindernis und wir bekamen einen schmerzhaften Stoß. Das waren die ersten Grüße von den Wurzelaufbrüchen an die Sitzbeinhöcker und an die diversen Weichteile, die sich noch ihren Platz auf den Sätteln suchten. Es ist natürlich eine tolle Sache, das so viele Bäume an den Radwegen gepflanzt wurden. Die Natur hält sich bloß nicht an die Vorstellungen der Landschaftsplaner. Die Baumwurzeln drückten den Teer der Radwege nach oben und zerstörten so den Radweg. Auf der Tour bekamen wir noch viele schmerzhafte Grüße, doch dazu später mehr.
Die Scheinwerfer der uns entgegenkommenden Autos blendeten gewaltig. So hatten wir große Schwierigkeiten in der Dunkelheit den Fahrradweg zu erkennen.
Nach einer Stunde und ca. 20km hatten wir Friedrichstadt erreicht. In einem Discounter kauften wir uns Brötchen, Saft und Schokolade. Auf dem Parkplatz genossen wir bei aufgehender Sonne die wohlschmeckenden Kohlenhydrate, die unsere Körper brauchten.
Schnell brachen wir wieder auf, fuhren über die Eiderbrücke und bogen dann links in Richtung Tellingstedt ab. Ein Süd West Wind, mit ca. 4 Beaufort begrüßte uns von vorne. Manuel meinte.“ Du kannst in meinem Windschatten fahren“ und schon eilte er davon. Ich hatte Mühe den Anschluss zu halten. Die eifrigen Landwirte aus Dithmarschen hatten auf der Straße den ein oder anderen Klumpen Kleiboden hinterlassen, was an sich ja kein Problem darstellt. Nun aber fuhr ich im Windschatten hinter Manuele her und seine groben Stollenreifen nahmen den guten Kleiboden auf und schleuderten den nach hinten. In kürzester Zeit war ich mit Dreck überseht. Alles hat doch so seine zwei Seiten.
Durchgeschwitzt und abgekämpft erreichten wir den Geestrücken in Kleve.
Über schlechte Radwege mit vielen Wurzelaufbrüchen, doch windgeschützt gelangten wir nach Schalkholz. Dort war die Straße nach Tellingstedt wegen Bauarbeiten gesperrt. Verdutzt schauten wir uns an. Eine Umleitung für Autos war ausgeschildert. Nach einem Blick auf Google Maps schien uns die Umleitung sehr weit, wir wollten ja noch ganz nach Hamburg heute. Doch wir entschieden uns diese doch zu fahren. Wir sahen einen alten Mann das Laub vor seinem Grundstück zusammen
harken. Den sprachen wir an und er erzählte uns begeistert seine halbe Lebensgeschichte. In einer Pause wiederholten wir unsere Frage, ob wir mit den Fahrrädern durch die Baustelle fahren können. Er zuckte mit den Schultern „Das wüsste er auch nicht, er wäre schon 95 Jahre alt“ und setzte erneut an, von früher zu erzählen. Wir verabschiedeten uns schnell, aber freundlich. In der Nächsten Kurve endeckten wir einen Bauer auf seinem Radlader bei der Arbeit. Wir hielten neben dem Gerät, der Landwirt machte den Motor aus und zündetet sich eine Zigarette an. Fragend schaute er zu uns herunter. Auf Plattdeutsch sprachen wir ihn an „kün we mit de Räder över de Bustell na Tellingstedt forn“?
Im akzentfreien Hochdeutsch sagte er „Ja – Ne- ich weiß nicht genau- ja das geht, wo wollt ihr nochmal hin, nach Tellingstedt? Dann fahrt hinter dem Hof den Zwischenweg hoch – gerade aus die Zweite rechts, dann seid ihr wieder auf der Hauptstraße“. Manuel und er Landwirt tauschten noch Fachwissen über die Bullenmast und das Ausmisten aus. Im akzentfreien Hochdeutsch verabschiedeten wir uns freundlich.
Der Zwischenweg entpuppte sich als kleiner Weg mit zwei Fahrspuren aus Beton. Ich erblickte eine gewaltige Steigung und schaltetet alles was ging in den kleinsten Gang. Manuel schaltete nicht und stürmte dem Berg herauf. Meine Lungen pumpten den Sauerstoff in meinen Körper, die Muskeln versuchten ihr bestes. Es nütze nichts – ich musste absteigen. Von oben blicke Manuel gütig herunter. Als ich oben ankam meinte er nur „Ich wäre auch fast abgestiegen, ganz schön steil, aber du hast es doch geschafft, super“. Na Klasse, dachte ich „Danke“
Nachdem wir Tellingstedt erreicht hatten, fuhren wir weiter bis nach Albersdorf. Diverse Wurzelaufbrüche machten uns zu schaffen. Immer wieder hielten wir an und entlasteten unsere… naja Ihr wisst schon.
Um 11:20 Uhr, nach weiteren 30 km suchten wir in Albersdorf den nächsten Bäcker auf und gönnten uns diverse Kohlenhydrate in Form von Backwaren und Tee mit viel Zucker. Obwohl die Sonne schien, war es doch recht kühl draußen. Ich war total durchgeschwitzt und zog mich erstmal um. Aus Erfahrung hatte ich vorsorglich genug Klamotten zum Wechsel eingepackt.
Nach ca. 45 Min. sprangen wir wieder auf unsere Sättel und machten uns auf den Weg zum Nord-Ostsee-Kanal. Am Kanal angekommen fuhren wir zu dem Denkmal alte Grünetaler Hochbrücke. Dort hatten wir einen tollen Ausblick über den Kanal nach Süden. Hier standen wir ca. 50 Meter über dem Kanal an der Böschung und gratulierten uns für die erste große Leistung, die wir geschafft hatten. Manuel sagte: „So weit bin ich an einem Tag noch nieee gefahren“. Fotos wurden gemacht und diverse Leute konnten sich über Whats app, an unserem Erfolg mit erfreuen.
Von der Böschung geschützt vor dem Wind, fuhren wir bei besten Sonnenschein Richtung Westen nach Brunsbüttel. Diverse Containerschiffe kamen uns entgegen.
Die Fähre in Hohenhörn setzte uns bei dem guten Wetter über den Nord-Ostsee-Kanal. Unser nächstes großes Ziel war in ca. 40km Itzehoe. Die Kilometer liefen so dahin. Immer wieder litten wir unter den Wurzel Aufbrüchen. Die Radwege waren in einem schlechten Zustand und dazu noch voll nassem Laub, welches teilweise wie Schmierseife war. So konzentrierten wir uns nicht zu stürzen.
Wir kamen nach Wacken, dort suchten wir den Bäcker auf, um eine längere Pause zu machen. Doch der hatte geschlossen. Auch der Kaufmann hatte über Mittag geschlossen. Verdutzt schauten wir uns an und vertilgen dann unsre restlichen Vorräte an Schokoriegeln und Mettwürstchen an einer Bushaltestelle.
Wir schüttelten unsere Glieder, lockerten unsere Muskeln, die sich immer mehr bemerkbar machten. Es nütze ja nichts wir mussten weiter. Ein Blick auf die Karte verriet uns, noch ca. 20 km bis nach Itzehoe – also los. Wir kamen gut voran, bis ich merkte, dass mein Körper mir signalisierte – Er braucht jetzt unbedingt, um weitere Leistungen zu bringen, KOHLENHYDRATE. So aß ich verzweifelt die letzten Reserven, aber es war zu spät. Wenn man wie ich im Winter, von dem Sofa begeistert Biathlon verfolgt, der kennt das. Spitzensportler die gut im Rennen liegen werden von den Verfolgern
kassiert und retten sich dann irgendwie über die Ziellinie. In dem Interview danach, sprechen sie dann: „Ich hatte keine Körner mehr oder die Muskeln waren blau“. Nun weiß ich was das heißt.
Kaum zu glauben, mein Körper konnte nicht mehr. Ich hatte keine Power mehr. Ich sagte zu Manuel „Ich muss mal absteigen und brauche eine Pause“. Nun standen wir mitten auf dem Radweg – sooo kurz vor Itzehoe, wo etwas zu essen auf uns wartete. Ich ärgerte mich über mich selbst, Manuel sprach wohlwollend auf mich ein. „Kein Problem, wir warten erstmal ab, dann geht es bestimmt gleich wieder.“ So fuhr ich einen Kilometer und musste wieder eine Pause machen. Das wiederholte sich so unzählige Male. Irgendwie rettete Manuel mich nach Itzehoe. Mental sprach er mir Mut zu. Dann hing ich mich an ihn ran und er zog mich. Dann schoben wir die Fahrräder wieder ein Stück. Wieder hielt ich mich an seiner Schulter fest und so zog er mich mit viel Power die letzte Anhöhe hinauf.
Bewundernd sagte ich zu Ihm „Man was hast du nur für power“!!! Er grinste nur.
Durch einen Wald über eine Brücke, die über die A23 führte und wir waren endlich in dem Randbezirk von Itzehoe. Von hier ging es noch gut 2 km in das Zentrum – zum Glück bergab.
Döner, Kuchen und Cola genossen wir und ich fühlte wie die Energie zurück in meinen Körper kam.
Sollten wir weiterfahren? Würde ich das noch schaffen? Sollte das hier schon das Ende sein? So richtig wollte das von uns keiner aussprechen. „Naaaa- wie weit ist dann die nächste Etappe?“ meinte ich.
Ein Blick auf Google Maps zeigte uns, das Elmshorn NUR 20 km entfernt war. Doch der Blick auf die Uhr verriet nichts Gutes. Es war schon 16:00 Uhr. Bald würde es dunkel werden.“ Worauf warten wir noch“, rief ich und versuchte mir damit Mut zu machen.
Schnell hatten wir die Stadt hinter uns gelassen und überquerten die A23 im Süden von Itzehoe. Der Radweg an der Bundesstraße war gut ausgebaut doch voller Laub. Ein wunderschöner Sonnenuntergang begleitet uns. Dann hatte die Dunkelheit uns wieder. Es wurde kalt. Wir hielten an, zogen uns wärmer an, streiften die Warnwesten über unsere Jacken. Vermehrt legten wir immer wieder kleine Pausen ein und führten unseren Körpern Energie zu. Die Lichtkegel der Fahrradlampen führten uns nach Elmshorn. Es war Feierabendverkehr. Die entgegenkommenden Autos blendeten uns sehr. Wir konzentrieren uns auf dem Weg zu bleiben, machten Platz für entgegenkommende Fahrradfahrer und spulten so weitere Kilometer ab.
Das nächste Ziel war Pinneberg. Es war gar nicht mehr weit. Im Dunkeln verpassten wir wiederholt Umleitungen für Radfahrer, wenn die Straßenführung uns wieder mal über die A23 führte.
Die Kräfte ließen bei uns beiden immer mehr nach. Wir machten in immer kleineren Abständen Pausen, schütteln Beine und Arme aus und Entlasteten des Gesäßes. Die Schmerzen DORT wurden langsam unerträglich. Über die unzähligen Löcher und Wurzelaufbrüche auf dem Radweg regten wir uns schon gar nicht mehr auf.
In Pinneberg orientierten wir uns neu und entschieden uns Richtung Halstenbek Krupunder zu fahren. Zwischendurch schauten wir auf dem Handy nach einer Unterkunft für die Nacht. Etwas Passendes fanden wir jedoch noch nicht. An einer Straßenkreuzung waren wir mal wieder ratlos- wo lang?
Wir schauten uns um. Auf der anderen Straßenseite war ein Hotel. Wir blickten uns an – ohne Worte wussten wir beide, nach 151 Kilometer war hier Schluss für heute. Im Internet informierten wir uns über die Unterkunft. Wir öffneten die Eingangstür und gingen an die Rezeption. Sie hatten noch Zimmer frei. Wir waren beide stolz und glücklich.
Ich ging unter die Dusche- Was für ein Tag!!